Sonnenuntergang am Orinoco

 

Langsam, Zentimeter um Zentimeter senkt sich die Sonne über der Mündung des Orinocos. Die drückende Hitze des Tages macht einem angenehm kühlen Lüftchen Platz, und die wenigen Wolken am Horizont verfärben sich rot, orange und violett. Nur eine einzige Watte-Wolke behält beharrlich ihre weisse Farbe. Auch mit dem Fernglas ist die Mündung des Flusses nicht auszumachen. So weit das Auge, oder besser das Fernglas reicht, ist am Horizont nur Urwald zu entdecken, wir scheinen direkt auf den Regenwald zuzusteuern. Und doch, irgendwo muss die Mündung sein, denn wir müssen noch hundertneunzig nautische Meilen auf dem Orinoco zurücklegen, bevor wir in Puerto Ordaz anlegen können. Die Sonne ist nun vollends am Horizont verschwunden und der fast volle Mond ist nun deutlich am Himmel auszumachen. Nur ungern drehe ich diesem Schauspiel den Rücken zu und steige über die Mettalleitern zuerst vom Flying Bridge Deck hinunter, an den in Plastik eingewickelten Motorrädern vorbei, weiter nach unten auf das Upper Bridge Deck, wo sich der Pool befindet, und schliesslich auf das Bridge Deck in unsere Kabine.

Vor dem Abendessen gönne ich mir noch eine Dusche. Wie jedesmal schmunzle ich über das rote Schild in der Dusche auf dem steht: "Caution - Test cold water supply before using shower." (Achtung - Vor der Benutzung den Kaltwasservorrat testen !) Auf einem Frachtschiff, wo pro Tag fünfundzwanzig Tonnen Süsswasser produziert werden, ist eben denoch vielmehr heisses als kaltes Wasser vorhanden. Während ich unter der Dusche stehe, denke ich über die Zufälle nach welche uns hier auf die Clary gebracht haben. Ursprünglich sollten wir auf der MV Patty von Rotterdam in 10 Tagen nach Savannah Georgia übersetzten. Da dieses Schiff jedoch zwei Monate Verspätung hatte, wurden wir auf die MV Jaunice umgebucht, welche von Rotterdam via Brasilien nach Amerika fahren sollte. Doch auch der Kurs der Jaunice wurde geändert, und so landeten wir auf der MV Clary, welche über England, Venezuela und die Domänikanische Republik nach Florida segeln soll.

Inzwischen fragten wir uns, wer sonst noch auf diese Art reisen kann, denn offensichtlich muss man vor allem Zeit haben, da Abfahrt, Ankunft und Reisedaurer beliebig oft ändern können. "Letztes Mal hatten wir 10 Passagiere, zusammen waren sie siebenhundertachzig Jahre alt. Alles Amerikaner !" lüftete der Kaptitän der Clary ein paar Tage später das Geheimnis! Die MV/SS Clary ist ein Massengutfrachter der deutschen Firma Mineral Shipping, der aus Steuergründen unter der Flagge von Singapur segelt. Vor sechzehn Jahren wurde er für die "Australian National Line" gebaut und wechselte vor sechs Jahren zur Mineral Shipping. In seinen sechs Laderäumen kann er über sechzehntausend Tonnen Fracht transportieren. Die Besatzung vom Kapitän bis hinuter zum Bosum sind ausschliesslich Kroaten, welche die Schifffahrtsakademie in Split besucht haben. Der Beruf des Seemanns war in Kroatien vor allem während der kommunistischen Jahre sehr beliebt, da dies eine der wenigen Möglichkeiten war um zu reisen. Auch wenn man als Seemann nicht viel mehr als die Häfen zu sehen bekommt.

Von den usprünglich vierunddreissig Besatzungsmitgliedern werden heute nur noch zweiundzwanzig benötigt, und so können Passagiere die leeren Kabinen benutzen. Sie müssen sich aber bewusst sein, dass sie im Vergleich zur Fracht viel weniger Wert sind, und somit sind Zielort und Ankunftszeit: "Subject to change ! "

Ref: LZDEZ94.SAM

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